(Eine) Geschichte erzählen
6 März 2018

(Eine) Geschichte erzählen
Dokumentation an der Schnittstelle von Politik, Gesellschaft und Geschichte im Kontext persönlicher Biographie

Lehrveranstaltung Video I WS 2011/2012
Bettina Henkel, Liesa Kovacs (Studienassistenz)
Technische Unterstützung Friedemann Derschmidt

Teilnehmende Künstler_innen

Shabnam Chamani, Yuri Correa Vivar, Karim Crippa, Matthias Derschmidt (im Arbeitsprozess), Florian Gehrer, Johannes Gierlinger, Daliah Heeger, Cem Metzler, Stefanie Molz, Luiza Morgan (im Arbeitsprozess), Johannes Niesel, Laura Nitsch, Julian Oberhofer, Lisa Rastl (im Arbeitsprozess), Nicole Sabella (im Arbeitsprozess), Mira Sacher, Laura Schreiner (im Arbeitsprozess), Lena Schuster, Michaela Kisling (zu sehen EG Nord), Antoinette Zwirchmayr

Persönliches zum Lehrveranstaltungsthema

Als ich vor zweieinhalb Jahren mit einem biographischen Dokumentarfilmprojekt begann und kurz darauf für circa zwei Monate krank wurde, musste ich aus der Not eine Tugend machen. Meine Lehrveranstaltungen begannen damals verspätet und mussten geblockt gehalten werden. So entschied ich mich, das Thema das ich als Künstlerin gerade bearbeitete und mit dem ich vertraut war, auch zum Thema meiner Lehre zu machen. Ich begann damals mit Studierenden theoretisch wie praktisch mit der Frage nach dem Dokumentarischen im Kontext von Zeitgeschichte und Biographie sowie zur familiären Erinnerung zu arbeiten. Die Lehrerfahrung die ich seit dem machen durfte möchte ich nicht mehr missen.

Dieses Semester starte ich mit einer großen Studierendengruppe die äußerst motiviert war, ihren Familiengeschichten auf den Grund zu gehen und „(eine) Geschichte“ mit den künstlerischen Mitteln des Video in dokumentarfilmischer Anlehnung zu erzählen – vor allen die Bilder dazu zu finden. Es sind unglaubliche Geschichten, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Oftmals ist es die Großelterngeneration die ihre Kriegserfahrungen verschweigen und trotzdem oder gerade deshalb, unausgesprochen die nachfolgenden Generationen prägen. Die Spuren unserer Geschichte, die des 2. Weltkriegs und der menschenverachtenden Grauen, ob die Familien sie als Holocaustüberlebende oder als Nachfahren von nationalsozialistischen Täten erlebten, sie sind im Familiengedächtnis präsent – und es ist wichtig sich damit auseinanderzusetzten.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wird oftmals von den Eltern und Großelterngeneration verweigert. Fast die Hälfte der Studierenden hat diese Erfahrung im Rahmen der eigenen Projektentwicklung gemacht und musste erkennen, die Komplexität der Materie unterschätzt zu haben, was immer wieder als große Herausforderung diskutiert wurde. Auch ich hatte sie unterschätzt und möglicherweise die Studierenden überfordert, trotz meiner Lehrerfahrung mit diesem Thema. Wie Umgehen mit hartnäckigem Schweigen und der Verweigerung des Gesprächs in der eigenen Familie? Wie umgehen mit der eigenen Betroffenheit, der Unsicherheit, der Irritation? Welche künstlerische Form ist dafür geeignet was innerfamliär und transgenerational geschieht?

Nicht alle Studierende haben sich in ihren Arbeiten diesem Thema gewidmet, ich hatte es ihnen freigestellt. Diese freien Arbeiten fügen sich erfrischend in das Gesamtbild ein und trotzdem lassen sich Arbeiten gemeinsam lesen – und sehen sowieso.

Viele begonnen Projekte, die auf dem Rundgang noch nicht gezeigt werden können, lassen auf einen spannenden Prozess und Realisierung hoffen. Bei manchen Arbeiten ist eine Art erster Schritt entstanden, ein Trailer, auch erste Schritte in kollaborativem Arbeiten, was für einige herausfordernd genug waren.

Es sind wunderbare Arbeiten im Entstehen, es sind wunderbare Arbeiten entstanden! Für ihre Offenheit und Mut möchte ich allen teilnehmenden Künstler_innen danken!

Ein roter Faden durch die gezeigten Arbeiten

Zu sehen auf der großen Projektion:

Daliah Heeger verwendet das eindrücklich Bild einer Kiste voll von Dokumenten, die ihr die Mutter im Rahmen eines Interviews übergab. Die Kiste wird zur Protagonistin und Sinnbild für die Vergangenheit die von der Künstlerin, die wir nie vollständig sehen, die sich unserem Blick entzieht, erkundet werden will. Die Dokumente, Pässe, Postkarten und Krankengeschichten, eröffnen indirekt Zugang zur die Lebensgeschichte Mieczyslaw Spiegels, ihres Großvaters, einem polnischen Jude der den Holocaust überlebte.

Florian Gehrer arbeitet als Filmvorführer in einem Kino, dass demnächst komplett auf digitale Projektion umgestellt wird. Sein Kollege, der alte Filmführer, führte 20 Jahre Tagebuch über seine Arbeit im Kino. Der erste Schritt der Arbeit ist eine Hymne an die Apparatur.

Johannes Niesel zeichnet Matrosen, als Modeschöpfer entwirft er Matrosenkostüm, seine Oma kauft ihm auf einer Vernissage eine Zeichnung ab. Dann erfährt er von Onkel Eckhard, dem verschwiegenen Matrosen in der Familie… Der lange Schatten der Vergangenheit zeigt sich in einer eindrückliche Geschichte. Bild und Sound trägt das Video. Das familiäre Interview zwischen Künstler und Protagonist ist die Improvisation auf dem Chello des Großvaters. Die Geschichte wird mit einem Satz eröffnet, es folgen Bilder die die Geschichte vorweg nehmen, ihr Sinn eröffnet sich am Ende im selbstkomponierten Song der mit vier Sätzen die Lebensgeschichte des Onkel Eckhard wieder gibt, die Johannes bevor der Matrosen zu zeichnen begann noch nicht wusste.

Mira Sacher und Cem-Samuel Metzler dokumentieren die Begegnung von Mira mit ihrer Familie, die sie zum ersten mal auf Super 8-Film projiziert sieht. Vergangenes wird durch die Apparatur sichtbar, Erinnerungsextase, Freude und Traurigkeit auslösend. Sie sagt, die Begegnung mit den Großeltern die schon tot sind, sei komisch und spricht sie etwas aus, das über als Gruppe immer wieder präsent ist: Das „Unheimliche“ der Vergangenheit.

Zu sehen am Flachbildschirm auf der Wand:

Karim Crippa und Julian Oberhofer wagen das Experiment einer gemeinsamen Arbeit, obwohl sie sich noch nicht gut kennen. Sie beschließen sich gegenseitig zu ihrer Beziehung zu ihren Väter zu interviewen. Klassisch anmutend aufgelöst in sehr persönlichen Interviewpassage. Dazwischen sind, angelehnt an ihre Schlüsselerlebnisse mit ihren Vätern, zwei Orte zu sehen, ganz ruhig, die den gedanklichen Raum öffnen.

Lena Schusters Protagonist ist zugleich ihr Kameramann: Carlos von den Hügeln. Er filmt seine Alltag – im besten Sinne ein Experimental-Video.

Laura Nitsch’ Set ist ein weißer Raum indem eine Schauspielerin mit ihrer Rolle experimentiert. Im Voice-Over hören der Name sei einem gegeben, er mache einen sichtbar und unsichtbar zugleich. Ein Raum, eine Rolle, Bildbeschreibung, wir sehen eine Frau die spricht, aber wir hören sie nicht. Es sind dichte, zitathaft anmutende Sätze zur Konstruktion von Identität, Bild und Raum.

Yuri Correa aus Chile und Shabnam Camani mit persischen Wurzeln untersuchen die Geschichte eines Lieds, das sie durch die jeweilige Geschichte ihrer Herkunft verbindet. Im ersten Teil der Arbeit hören wir die Instrumentalversion des Protestliedes, das seine Ursprung im Chile der 70er Jahre hat im Widerstand gegen Pinochet und lesen dazu den Text. Heute wird das Lied im Iran mit modifiziertem als Protestsong der grünen Revolution gesungen. Dies aber ist der zweite, noch unfertige Teil der Arbeit sein.

Zu sehen auf den Röhrenbildschirmen linker Hand:

Stefanie Molz’ Karaoke-Kakophonie sind Musikclips ihrer Tanten aus den 90er Jahren die auf youTube zu sehen sind. Die Inhalte erahnen wir durch die Sujets, es geht wohl um Liebe und stellt sich in freudiger Harmonie, einem hohen Ideal der Batak-Musiker_innen, dar. Die Lieder sind übereinander gelegt, macht sie akustisch unkenntlich und zerstört sie. Dies als Sinnbild für einen repressiven Staat, der nach dem Niedergang der Militärdiktatur (1998) vereinzelt noch immer Mitglieder alternativer Musikszenen verfolgt.

Antoinette Zwirchmayrs Arbeit zeigt einen kleinen Ausschnitt ihrer Biographie – ihr Bewusstloswerden in der Narkose und ihr Aufwachen nach bei einer Operation. Zum biographischen Thema lassen sich hier mehrere Verbindungen konstruieren: Das Abtauchen einer Generation in Verdrängung und das Aufwachen der übernächsten – das Dazwischen bleib dunkel, will aber belichtet werden. Da verliert man manchmal tatsächlich so wie im Video die Kontrolle.