Deutschbaltischer Hintergrund
14 September 2019

Deutschbaltischer Hintergrund

 

Die deutschbaltische Vergangenheit meiner Familie ist ein gleichzeitig typisches und atypisches Beispiel innerhalb der baltischen Gesellschaft und so versucht der Film anhand der ehemaligen Häuser im Familienbesitz diese wenig bekannte Geschichte Europas im Dialog zwischen Vater und Tochter nachzuzeichnen.

 

Die Deutsch-Balten waren im heutigen Lettland und Estland eine deutschsprachige Minderheit, die aber über 700 Jahre die herrschende Klasse bildete und die ansässige Majoritätsbevölkerung unterjochte. Sie waren im späten 12. Jahrhundert als Kreuzritter des Schwertbrüderordens eingewandert und christianisierten die „heidnische“ Bevölkerung. In späteren Jahrhunderten kooperierten sie mit den jeweiligen Herrschern, vor allem nahmen sie großen Einfluss auf Kunst, Kultur und Sprache der heutigen Länder. Die Deutsch-Balten gehörten dem Adel sowie dem Großbürgertum an und waren als Händler Teil der Hanse.

 

Die Privilegien der Deutsch-Balten wurden in der ersten (niedergeschlagenen) russischen Revolution 1905, der Oktoberrevolution von 1917 und der Unabhängigkeit Lettlands 1918 schrittweise beschnitten. 1920 wurden die deutschbaltischen Großgrund- und Gutsbesitzer im Zuge der Bodenreform enteignet. Es wurden ihnen sogenannte Restgüter zugeteilt.

 

In den 1930-Jahren nehmen die Spannungen zwischen Deutsch-Balten und Letten stark zu, bis 1934 Karili Ulmanis in einem Staatsstreich ein autoritäres Regime errichtete. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits die Nationalsozialisten ihren Einflusskreis bei den Deutsch-Balten, vor allem bei der Jugend und den Studierenden, erreicht. Die deutschvölkische Bewegung in Lettland unter Erhard Kroeger diente sich dem Nationalsozialismus immer stärker an. Die deutschsprachige Presse und Publikationen wurden zensuriert. Auch der Chefideologe Hitlers, Alfred Rosenberg, war deutschbaltischer Herkunft.

 

Im deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 zwischen Hitler und Stalin werden die Interessensphären aufgeteilt. Die baltischen Länder kommen unter sowjetischer Macht.

In einem geheimen Zusatzprotokoll zum Hitler-Stalin-Pakt wird die Umsiedlung aller Deutsch-Balten beschlossen. Es ist eine optierte Umsiedlung, der die meisten Deutsch-Balten folgten. 51.000 Deutschbalten aus Lettland wurden in das von Deutschland annektierte Polen umgesiedelt. Sie bildete den Auftakt der nationalsozialistischen Umsiedlungsaktionen zu Beginn und während des 2. Weltkriegs.

 

Meine Familie väterlicherseits ist von diesen Umwälzungen betroffen. Sie erlebten die blutigen Kämpfe 1905, die einem Bürgerkrieg ähnelten, der grausam vom Zaren unter der Mithilfe der Deutsch-Balten niedergeschlagen wurde. Es folgte während des 1. Weltkriegs Verbannungen nach Sibirien, sowohl großväterlicher wie großmütterlicherseits sind Familienmitglieder betroffen. Dann erlebten sie die Oktoberrevolution, meine Urgroßmutter hatte noch davon erzählt. Dass die Klaviere aus den Fenstern flogen, ist wohl der unterhaltsame Teil dieser grausamen Geschichte, denn zwei Familienmitglieder wurden in dieser Zeit von den Sowjets ermordet.

 

Bei Recherchen in Polen wird klar, dass allein am Beispiel des kleinstädtischen Ortes Inowroclaw, die nationalsozialistischen Gräueltaten ungezählte sind. Konkret befanden sich in Inowroclaw Exekutionsplätze, Massengräber und verschiedene Lager: Arbeitslager, Übergangslager und Sammelstellen für Abtransporte zur Durchführung der Deportation der polnischen und jüdischen Bevölkerung in Ghettos und unterschiedliche Lager, zum Zwangsarbeitseinsatz ins Deutsche Reich oder zur Ermordung.